Bob Dylan und Tarot

Kontroversen brachen aus, als das Nobel-Komitee verkündete, den Literaturpreis 2016 dem amerikanischen Singer-Songwriter Bob Dylan, der Ikone der 1960er Generation, zu verleihen. Verdiente ein populärer Sänger wie Dylan den Preis?

Wer sich allerdings mit Tarot und Spielkarten auskennt, versteht diese Preisvergabe auch in einer speziellen Bedeutung. Dylans lyrische Poesie wurde seit Jahrzehnten tiefgreifend von Spielkarten und vor allem den Tarot-Karten inspiriert. Deren Bilder, Symbole und Motive sind durchgehend in seinem Werk zu finden. Damit hat das Nobel-Komitee unter anderem den poetischen Einfluss der Karten und ihre Bedeutung für unsere globale Kultur anerkannt.

Da Dylan seinen Preis nun akzeptiert hat, ist es jetzt ein guter Zeitpunkt, einmal in die Tiefe seiner Beschäftigung mit Karten einzusteigen und sie als langjährige Quelle der Inspiration und als literarisches Mittel in seinem Werk zu untersuchen.

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Abb: Bob Dylan – Foto Alberto Cabello, CC-BY 2.0, 2010, Wikimedia

Dylans frühes Verständnis von Karten

Geboren im kleinstädtischen Minnesota, hörte Dylan vor allem Radio, besonders Blues, Folk, Gospel und Country Western. Dies legte in ihm die Grundlage für ein lebenslanges Interesse an Spiritualität, sozialer Gerechtigkeit und daran, was es bedeutet, unterwegs zu sein, ein heiliger Narr.
Die Geschichten in seinen typisch amerikanischen Story-Songs drehen sich um Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben – Spieler, Herumtreiber, Habenichtse. Dylans frühe Werke lehnen sich stark an diese Vorbilder an – wie beispielsweise im Song „Rambling, Gambling Willie“. Ursprünglich 1962 aufgenommen, hatte ihn Dylan für sein zweites Album „Freewheelin ‚Bob Dylan“ vorgesehen. Doch wurde er von der Scheibe gestrichen.
Professor Alessandro Carrera von der Universität Houston – Graduate director für Weltkultur und -literatur, Übersetzer von Dylans Texten ins Italienische und Experte in der akademischen Aufarbeitung von Dylans Werk (einem Gebiet namens „Dylanology“ ) – Prof. Carrera geht auf „Rambling, Gambling Willie“ besonders ein. Er beschreibt den Song als „eine ironische Western-Film-Geschichte, in der der weltbeste Pokerspieler Willie während eines Pokerspiels getötet wird, als er die so genannte ‚Hand des toten Mannes‘ (zwei Asse und zwei Achter) hält“.
Diese landläufigen Vorstellungen von Spielern und einer Welt, in der das Leben selbst ein tragisches Spiel des Zufalls darstellt, das endet bevor man es begreift, stehen wohl am Anfang von Dylans Werk. Doch dann ließ er diese Sicht von Karten und Spiel hinter sich.

Warum? 1964 kam er ernsthaft mit dem Tarot in Berührung. Und Tarot wurde zum bedeutsamen Rahmen für seine Dichtung.

Tarot-Fan Sara Dylan

Dylans erste Frau Sara kam 1959 nach New York City, um Model zu werden. Dieses Jahr entpuppte sich als ein Schlüsseljahr für Tarot in den USA: University Books veröffentlichte seine Version des Tarot von A.E. Waite und P. Colman Smith.

Auch florierte damals New Yorks metaphysische Buchhandlung Weiser. Einschlägige Bücher waren leicht zugänglich. Tarot-Werke von Dion Fortune, Israel Regardie, Arthur E. Waite und Eden Gray konnten bei Weiser gefunden werden. (Das Tarot des Jungianers Alfred Douglas aus dem Jahr 1972 wurde später entscheidend für Dylans Verständnis der Karten.)

Sara stieß bald auf das Tarot von A.E. Waite und P. Colman Smith und entwickelte ein tiefes, langfristiges Interesse dafür. Dylans Biograph Robert Shelton, Autor der beliebten Biographie „Bob Dylan – No Direction Home: Sein Leben, Seine Musik 1941-1978″, merkt an, dass Sara bereits zu Beginn der 60er Jahre ein großes esoterische Wissen über Tarot und Magie erworben hatte. Und seit ihre Beziehung mit Bob 1964 begann, brachte sie Tarot in sein Leben.

„Herrscherin“ & „Magier“

Sara entwickelte eine tiefe, persönliche Verbindung zur Tarotkarte „Herrscherin“. Durch ihr Interesse am englischen Golden Dawn, dem „Orden der Goldenen Morgenröte“, verband sie diese Karte mit der ägyptischen Göttin Isis. Der Rock-Schriftsteller Larry „Ratso“ Sloman, Autor von „On the Road with Bob Dylan“, erwähnt, dass Sara nicht nur einen selbst designten Isis-Anhänger trug, sondern einen Altar für die Herrscherin errichtet hatte.
Diese Herrscherin/Isis-Verbindung zeiht sich durch Dylans Werk. Er identifizierte sich selbst mit der Tarotkarte „Magier“, die er laut Shelton für sein spirituelles Porträt hielt.
Dylan verband den Magier mit Osiris und entwickelte eine „Isis-Herrscherin“/„Osiris-Magier“-Mythologie für seine Beziehung zu Sara – durch gute Zeiten. . . und durch schlechte Zeiten. Diese Mythologie zieht sich durch in seinem gesamten Werk.

Dylans Karten bezogene Motive erstrahlen vor allem auf den Alben „Blood on the Tracks“ (Relevante Songs: „Rosemary“, „Lily & Jack of Hearts“, „Shelter from the Storm“), „Desire“ (Relevante Songs: „Isis“, „O Sister“) und „Street Legal“ („Changing of the Guards“, „No Time to Think“), obwohl sie auch in anderen Texten angedeutet werden.

Das Album „Desire“

Kommen wir nun zu seiner offensichtlichste Verwendung des Tarot von A.E. Waite und P. Colman Smith: Auf dem Album „Desire“ aus dem Jahr 1976, das während des dramatischen Endes seiner Ehe mit Sara entstand. Die Rückseite des Plattencovers zeigt die Tarotkarte „Herrscherin“ zusammen mit Dylan und Sara. Der Text auf derselben Rückseite erwähnt den „Mond“ und spielt auf die „Mässigkeit“ an.
Der Text auf der inneren Plattenhülle verweist auf den „Magier“ und das „Gericht“. Die dortigen Linernotes (Anmerkungen, Erklärungen) von Dylans Freund, dem Dichter Allen Ginsberg, führen die Symbologie aus Tarot und Mythen fort: „To Isis Moon Lady Language Creator Birth Goddess. . .Sophia & Aphrodite.“ (dt.: An Isis Mond Dame Sprache Schöpferin Geburt Göttin. . .Sophia & Aphrodite)

„Desire“ enthält qualvolle Lieder über die „Isis/Osiris“-Dynamik – die berühmten Songs „Isis“ und „Oh Sister“ (dt.: Oh Schwester – Isis und Osiris waren Seelenbruder-Schwester und Ehemann-Frau).

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Abb.: „Desire“, Rückseite des Album, mit freundlicher Genehmigung von Bob Egan, popspotsnyc.com

Album: Street Legal

Betrachten wir eine Strophe aus dem Song „Changing of the Guards“ (dt.: Wachablösung) auf dem Album „Street Legal“ von 1978:

“Fortune calls
I stepped forth from the shadows, to the marketplace
Merchants and thieves, hungry for power, my last deal gone down
She’s smelling sweet like the meadows where she was born
On midsummer’s eve, near the Tower.“

(dt.: „Das Glück ruft
Ich trat aus den Schatten auf den Marktplatz
Kaufleute und Diebe, hungrig nach Macht, mein letztes Angebot abgelehnt
Sie duftet süß wie die Wiesen, wo sie geboren wurde
An einen Mittsommerabend in der Nähe des Turms.“)

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Abb.: Tarot von A.E. Waite and P. Colman Smith, Königsfurt-Urania Verlag

Leser, die mit dem Tarot von A.E. Waite und P. Colman Smith vertraute sind, erkennen in diesem Text die Karten „Rad des Schicksals“ und „Turm“ sowie Dylans bildliche Referenzen an herkömmliche  Interpretationen der Karten „2 Stäbe“, „7 Schwerter“ und erneut der „Herrscherin“. Er webt diese Karten zu intuitiver Poesie.
„No Time to Think“ (dt.: Keine Zeit zu denken) setzt diese Technik fort. Dylan beginnt mit den Figuren von Frau und Kind auf der Tarotkarte „Tod“: „In death, you face life with a child and a wife.” (dt.: Im Tode begegnest du dem Leben mit einem Kind und einer Frau) und weitet seine Meditation von dort aus. Der Song greift das Thema von „Ramblin’ Gamblin’ Willie“ in gereifter Form auf.

 

Wie Mitch Horowitz, der Autor des preisgekrönten Buches „Occult America“ (dt.: Okkultes Amerika), feststellt: „Zuhörer lieben an Dylan, dass seine Geschichten immer in Dingen verwurzelt sind, die wir aus unserem eigenen Leben kennen: Tarotkarten, historische Ereignisse, Kämpfe, in denen es um Liebe und Gerechtigkeit geht“.

Die Tarot-Motive in den Texten von Bob Dylan springen uns förmlich entgegen. Auch ihnen schenkt die Verleihung des Nobel-Preises eine einzigartige Wertschätzung.

Text: Fortune Buchholtz, www. notfortunesfool.com
Übersetzung: Kirsten Buchholzer, www.diemantiker.de
first published on www.tarot-online.com/blog (c) 2016 by AGM-Urania / Königsfurt-Urania

 

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